Von Donnerkeilen und Münzsteinen
Gesteine erzählen Geschichten – sogar sehr spannende. In ihnen finden auch die Ammoniten, Belemniten und Nummuliten eine Hauptrolle.
von Hans Conrad*

erschienen am 14. Juli 2021 im
Sarganserländer.
Interessantes Plätzchen: Das Hotel Schloss Wartenstein in Pfäfers sitzt auf einem eindrücklichen Nummulitenriff.

Tiere und Pflanzen sind nur einer von vielen schönen Bereichen der Natur. Ihr Leben, ihre Verbreitung und Entwicklung wird massgeblich von nicht biologischen Faktoren wie Sonne und Klima ermöglicht – und von Relief und Gesteinen beeinflusst. Es wäre also interessant zu wissen, warum viele Menschen mit Steinen nichts anfangen können: Steine sind zwar oft hart und grau, aber manchmal eben auch schön farbig und sogar geeignet für imposante Bauten. Wer sich Antworten zu ihrer Entstehung geben lässt oder selber nachzuforschen beginnt, könnte leicht bei einer weiteren Facette der Natur hängen bleiben. Es sind Geschichten aus alten Zeiten der Erde, erzählt von Steinen. Kalk zum Beispiel bildet das grösste Spektrum verschiedener Gesteine und fast immer hat seine Entstehung direkt oder indirekt mit Lebewesen zu tun. Dies ist umso spannender, wenn man selbst grosse Fossilien, Haifischzähne, Austern oder kleine Fische in den Gesteinen findet. Das Sarganserland ist zwar kein Saurierland, versteckt aber trotzdem viele kleine und interessante Fossilien in den ehemaligen Meeresablagerungen aus vielen Millionen von Jahren.

Das Liasmeer und seine Bewohner
Beim Herumstreifen auf St. Jöri in Walenstadt und weiter östlich bis Ragnatsch in Mels begegnet man gelegentlich Muscheln und ganz merkwürdigen, an Geschosse erinnernden Versteinerungen. Das sind Hartteile von Weichtieren, den Belemniten, aus der Zeit des Lias.
Donnerkeile im Gestein: Diese Belemniten in Sandstein (oben) und aus Mergel herausgelöst stammen aus Berschis.
Sie schwammen mit ihrer tintenfisch-ähnlichen Gestalt zwischen Seelilien, Korallen und anderen Tieren herum. Fische, wie man sie heute kennt, existierten damals noch nicht. Vor 190 Millionen Jahren gab es auch noch keine Alpen. Die ersten Gesteine für das künftige Gebirge waren zu jener Zeit allerdings in heute nicht mehr existierenden Meeren schon abgelagert, wie Kalke oder Sandsteine im Liasmeer.
Vor 55 bis 35 Millionen Jahren: Das Flyschmeer in der Region, gefüllt mit den ersten Abfällen der Alpen.
Karte Hans Conrad (verändert nach M. Feldmann, 2014)

Das Liasmeer am Anfang der Jurazeit – 200 Millionen bis 145 Millionen Jahre vor unserer Zeit – bedeckte grosse Teile Europas. Die Pflanzen- und Tierwelt hatte sich von einem grossen Massenaussterben am Ende des Erdaltertums erholt. An den Stränden gab es Farnbäume wie Palmen und Schachtelhalmbäume. In den Meeren wiederum schwammen Fischsaurier, Quallen und die Stars in der damaligen Tierwelt: die Ammoniten, auch Ammonshörner genannt.

Die Ahnen der Tintenfische

Der Körper von Ammoniten steckt in
einem flachen, spiraligen Gehäuse aus Kalk, genauer gesagt aus Aragonit. Der Kopf mit den Fangarmen schaute aus dieser Schale heraus. Deshalb haben Ammoniten, Belemniten und die heute lebenden Tintenfische auch den Namen Kopffüssler erhalten. Von ihnen hat es in der Erdgeschichte bis zum Ende der Kreidezeit etwa 25 000 Arten gegeben, heute leben von den modernen Nachkommen gerade noch 750 Arten.
Wer die Gesteine absucht, wird dort, wo es grobe, kantige Sandkörner an der Gesteinsoberfläche hat, Belemniten finden, die vor fast 200 Millionen Jahren abgelagert wurden.

Die Ammoniten gehören zu den bedeutendsten Fossilien der Meeresfauna.

Uralte Stars: Die Ammoniten gehören zu den bedeutendsten Fossilien der Meeresfauna.

In der gleichen Tiergruppe befinden sich die Belemniten, die eigentlichen Vorfahren heutiger Tintenfische. Ihr Körper ist lang gestreckt, ohne Aussenschale und innen gestützt mit einem harten Keil. Tote Tiere wurden manchmal in ruhige Becken eingeschwemmt. Dort sind die Hartteile oft in den Kalkschlämmen erhalten geblieben und die Aragonitkeile zu Kalkstrukturen (Kalzit) umgewandelt worden, sodass man sie heute in Gesteinen als Fossilien wieder finden kann. Manchmal entstanden auch Abdrücke von Tieren und sogar von Weichteilen: von Quallen sowie von den Fangarmen und Mundwerkzeugen der Ammoniten und Belemniten.

Donnerkeile der Belemniten

Der Hügel von St. Georg, ebenfalls in Walenstadt, ist geologisch gesehen sehr interessant. Ein richtig harter Brocken in der Landschaft, vom Gletscher nicht weggeschliffen. Er besteht aus sehr hartem Liasgestein.

Der Name Donnerkeile für die inneren Reste der Belemniten stammt aus der Mythologie der Germanen. Thor oder Donar ist der Wettergott, Herrscher über Blitze und Donner. Eine seiner wichtigen Waffen ist ein zylindrischer Keil, dem Aussehen nach den Keilen der Belemniten ähnlich. Ein Symbol für Macht und Kraft. Die Donnerkeile auf dem Sächsmoor, auf dem Leist oder am Guscha stammen aus der gleichen Zeit. Die beachtliche Neigung der Schichten am Guscha weisen in gedanklichen Verlängerungen herunter zum St. Jöri. Dort finden sich dieselben Schichten, und man erkennt daran einmal mehr, wie stark die Gesteinsschichten von Süden her ins Seeztal hinunter ziehen. Auf der rechten Seite der Seez sind die Gesteinsschichten am ältesten. Die Belemniten und vor allem die Ammonitenarten zeigen sehr gut, welche Gesteinsschichten gleich alt und auf eine ähnliche Art entstanden sind. Solche Fossilien bezeichnen wir als Leitfossilien. Man kann mit ihnen Alter und Entstehung von Gesteinsformationen vergleichend zuordnen: in der Schweiz, in Europa und weltweit.

Die Münzsteine von Wartenstein
Wann auch immer die Besitzer des Wartensteins wechseln, ihre Investition steht auf gutem Grund: Auf Münzsteinen! Die Kalkschichten, in denen die Münzsteine liegen, sind sehr hart und unter dem Handelsnamen Ragazer Marmor bekannt – obwohl er eben eigentlich aus Kalk besteht. Die fossilen «Münzen» stammen von ausgestorbenen Organismen, Nummuliten genannt; nummulus bedeutet kleine Münze.
Im Detail: Ein Gesteinsdünnschliff mit Nummuliten aus der Ragazer Fluppi (Massstab 50:1).

Nummuliten gehören zu einer grossen Gruppe unter den Einzellern im Meer, zu den Foraminiferen. Ihre Kalkgehäuse besitzen viele Öffnungen, Fenstern gleich, durch die eine einzige Zelle dank Ausläufern mit der Umwelt Kontakt hat. Daher der Name Foraminiferen: Fensterträger. Sie leben in Riffen, an Felsen und überall am Boden der Meere. Foraminiferen gibt es in unzähligen kunstvollen Formen. Nummuliten und Verwandte von ihnen, wie die Assilinen oder Discocyclien, haben eine einfache Form wie Münzen. Einige Arten wachsen in längeren Zeiträumen übereinander und bilden meterdicke Schichten. Daraus können im Laufe von geologischen Zeiträumen, nach dem Ableben der Organismen, kompakte Gesteinsschichten entstehen: Nummulitenkalke.

Säulen aus Ragazer Marmor
Der Ragazer Marmor zieht von der Fluppi her über Wartenstein in mehreren zueinander verschobenen Schichtbänken bis gegen Pfäfers. Bis dort hinauf hat es drei Steinbrüche gegeben, in denen dieser harte Nummulitenkalk abgebaut wurde. Er ist ungefähr 40 Millionen Jahre alt und in den ruhigeren, nördlich gelegenen Flachmeerregionen des Flyschmeeres (siehe Karte) entstanden. Seine schwarze Farbe stammt von viel Kohlenstoff zwischen den Kalkkristallen. Das wiederum zeugt von sauerstoffarmen Bereichen in den Nummulitenriffen.
Als die Alpen mit ihren kilometerdicken Gesteinsstapeln unsere Region noch nicht erreicht hatten, wurden im Süden des Flyschmeeres – in grossen Tiefen am Alpenrand – durch sich wiederholende Erdbeben viele hundert bis tausend Meter dicke Schichten von Sandsteinen abgelagert. In ruhigeren Phasen wurde Tonschiefer gebildet. Das führte zu einer typischen Wechsellagerung in den Flyschformationen wie am Pizol, im Weisstannental, in der Sardonaregion und in vielen anderen Stellen am Alpennordrand.
Säulen aus Nummulitenkalk: In der Klosterkirche Pfäfers findet sich Ragazer Marmor.

Aus dem Ragazer Marmor wurden Säulen hergestellt für die Klosterkirche Pfäfers, die Kirche Sargans und das alte Physikgebäude der ETH Zürich.

Zum Zvieri in Siez

Die Reise des schwarzen Marmors ging aber noch weiter: in Gebäude nach St. Gallen und bis Wien. Die Foraminiferen darin sind manchmal sehr klein und oft zerbrochen. Es lassen sich im Mikroskop viele verschiedene Arten erkennen, einige sind sogar trotz des Millionen von Jahren langen Schiebens und Drückens durch die Alpen ganz geblieben. Zwischen den grösseren sichtbaren Foraminiferenschalen an den Marmorsäulen kann man mehrere Quadratzentimeter grosse Lager fossiler Rotalgen, sogenannte Lithothamnien, die damals auch Kalk produziert haben, erkennen. Nach ihnen wird der Ragazer Marmor wissenschaftlich als Lithothamnienkalk benannt. Viele Rotalgenarten erzeugen auch heute noch Kalkkrusten in den Meeren. Das Flyschmeer – ungefähr 55 bis 35 Millionen Jahre vor unserer Zeit – dehnte sich am Rande der entstehenden Alpen von Osten nach Westen weit aus. Daher gibt es auch anderswo entsprechende Sedimente und Fossilien; auch schwarze Marmore. So etwa der Einsiedlermarmor, verbaut am Altaraufgang der Klosterkirche in Einsiedeln. Grössere, gut sichtbare Nummuliten sieht man am rechten Rand der Strasse nach Pfäfers, weit verbreitet sind die Nummuliten in den Gesteinen im Weisstannental. Wer nicht lange suchen möchte, um schöne Nummuliten zu sehen, nimmt sich einen Zvieri in Siez und schaut sich dabei die Hauswand mal genau an. Und zwar dort, wo man gemütlich den Rücken anlehnt.

Metamorphose der Globigerinen
In den Ozeanen, im offenen Meer, lebt in den oberen hundert Metern das Plankton. Das ist eine Lebensgemeinschaft verschiedenster Algenarten, Flügelschneckenlarven, Krebstierchen bis zur Grösse von Krill, kleinen Quallen und Einzellern. Die Lebewesen des Planktons können sich mehr oder weniger passiv in den oberen Bereichen der Meere au«alten. Sie können aber auch aktiv grössere vertikale Wanderungen machen. Zu den bedeutendsten Einzellern im Meer gehören Globigerinen und Radiolarien.
Spannendes Lebewesen: So sieht eine Globigerine aus dem Atlantik aus (Massstab 200:1).

Die Globigerinen sind die einzigen heute planktonisch lebenden Foraminiferen. Sie sind 0,1 bis 0,5 Millimeter klein. Ihre Kalkgehäuse, Kalzite, bestehen aus drei bis acht spiralförmig aneinandergereihten Kugeln. Die Zelle lebt, wie bei den Nummuliten, in einem kompliziert gestalteten Inneren und streckt Hunderte kleiner Nadeln aus ihrem Gehäuse. An diesen Nadeln hat es mikroskopisch feine Ausstülpungen der Zelle, die Förderbändern gleich winzige organische Abfälle und Mikroorganismen aus dem Wasser fischen und in die Zelle bringen. Das tun sie seit der zu Ende gehenden Kreidezeit bis heute in den meisten Ozeanen. Nach dem Tod der Globigerine sinken ihre Kalkgehäuse auf den Grund der Meere und bilden oft einen über 1000 Meter dicken Globigerinenschlamm, aus dem einmal ein Gestein werden wird.

Felswand in der Taminaschlucht: Hier verstecken sich Globigerinen zu Milliarden.

Die Globigerinen in den Kalken und Mergeln, wie diejenigen in den steilen Felswänden der Taminaschlucht, sind also Zeugen von den offenen Meeresregionen des Flyschmeeres vor 40 Millionen Jahren.

Aus Ragazer Marmor sind unter anderem Säulen für die Klosterkirche Pfäfers, die Kirche Sargans und das alte Physikgebäude der ETH Zürich erstellt worden.

In einem Gesteinsdünnschliff kann man sie sehen, unter dem Mikroskop auch ihre Gestalt erkennen. 2018 hatte ich ein besonderes Erlebnis mit den Globigerinen. Nach der Wanderung in der Taminaschlucht habe ich mir einige Skulpturen im Park vor dem Quellenhof angeschaut. Da war sie – eine Globigerine! Es schien, als ob die Kalkgehäuse der Globigerinen aus dem Taminatal für die Bad Ragartz zu einem grossen Brocken weissem Marmor metamorphisiert (umgewandelt) worden wären und die Künstlerin ihm die Gestalt einer Globigerine gegeben hätte. «Coral secrets» heisst die Globigerinen- Skulptur. Frau Sibylle Pasche stellt auch in diesem Jahr Kunstwerke aus. Die Skulptur «Winterschlaf» lässt auch da die Inspiration aus der Natur erkennen.

Natur und Kunst

Immer wieder können an Bauwerken Gesteine entdeckt werden, die voll von Kalk produzierenden Organismen sind: Eindrückliche Nummulitenkalke wie bei den Pyramiden von Gizeh und an vielen Kirchen in Aragonien oder eine grosse Sammlung von kleinen Fossilien am Dor¯runnen in Berschis.

Natur inspiriert: Das Werk «Coral secrets» der Künstlerin Sibylle Pasche.
SLGview Hans Conrad

Spezielle geologische Führungen in Städten, wie Zürich, Bern, Basel, Chur oder Glarus, führen zu solchen Brunnen, Gebäuden oder Kunstobjekten und eröffnen eine spannende Verwebung von Architektur, Kunstgeschichte, dem Leben von Künstlern und Künstlerinnen und der Erdgeschichte.

Quellen

Präparationen, Mikroskopien und Fotografien
Hans Conrad.
Skizze «Lebensraum Liasmeer» Daniel Hosner.
Ausflug in die Glarner Geologie, M. Feldmann, 2011.
Fundstück Ammonit Berschis, Andreas Messikommer.

  • Hans Conrad leitet unter anderem auch Führungen durch das Unesco-Welterbe Tektonikarena Sardona.
Eine Wissenschaft für sich: Bernhard Ziegler untersucht im Buch «Paläontologie: Vom Leben in der Vorzeit»
Ablagerungs- und Lebensräume – auch im Sarganserland.